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Interview mit Dachdecker Wolfgang Thiel

Das Dach der neu errichteten Rundhausrekonstruktion im archeoParc-Freilichtareal, welches auf Grabungsbefunden eines kupferzeitlichen Baus aus Brescia-San Polo beruht, wurde in den vergangenen Wochen von Wolfgang Thiel samt Team gedeckt. Wolfgang Thiel kommt aus dem Norddeutschen Lübberstedt und ist ein erfahrener und bestens ausgerüsteter Reet-und Strohdachdecker. Die archeoParc-Mitarbeiterin Gabriele Niedermair hat mit ihm über seine ungewöhnliche Arbeit gesprochen.

 

Gabriele Niedermair: Für das Dach unseres Hauses im Freigelände hast du einen natürlichen Rohstoff, und zwar Reet verwendet. Was ist das: „Reet“?

Wolfgang Thiel: Reet ist Schilf, das an Gewässern wächst. Wenn das Schilf „reif“ ist, und der erste Frost da war, sind die Blätter abgefallen und dann kann man das Schilf mähen. Wenn es dann gebündelt ist, nennt man es „Reet“ (oder auch „Riet“).

Gabriele Niedermair: Was ist wichtig beim Material?

Wolfgang Thiel: Dass es nicht zu groß ist und nicht zu klein. Es lässt sich gut verwenden, wenn es zirka 2 Meter hoch ist, feinhalmig, sauber, gerade gewachsen und trocken.

Gabriele Niedermair: Was für ein Unterbau ist Voraussetzung?

Wolfgang Thiel: Die Formen sind völlig egal. Man kann alles machen, alles decken. Man kann einen Würfel decken oder ganz normale Satteldächer, Pavillondächer, einen gedrehten Trichter, sogar Vogelhäuschen. Die Formen können sehr vielfältig sein und sehen gedeckt immer schön organisch aus.

Gabriele Niedermair:  Wieviele Schichten werden gelegt, damit das Dach dicht ist?

Wolfgang Thiel: Man muss eine gewisse Dicke decken, das sind ungefähr 30 Zentimeter, damit das Dach entsprechend lange halten kann, weil es mit den Jahren natürlich immer dünner wird. Und die Schichten sind danach geregelt wieviele Dachlatten da sind. Man rechnet pro Schicht eine Dachlatte. Das ist ein ganz normaler Dachstuhl wie man ihn für Dachplattendeckung auch verwendet. Jede Schicht wird an die Dachlatte gebunden, die z.B. aus Weide oder Hasel bestehen kann.

Gabriele Niedermair: Wir haben gehört dass man die Dächer früher auch mit Stroh, also Getreidehalmen gedeckt hat?

Wolfgang Thiel: Ja, früher hat man sehr viel mit Stroh gedeckt. Wenn es ausgedroschen war eignete sich das Stroh wunderbar zum Decken. Stroh wird heute noch oft in Freilichtmuseen verwendet.

Gabriele Niedermair: Muss das Stroh nicht auch eine gewisse Länge haben?

Wolfgang Thiel: Ja! Es muss zirka 1,20 Meter lang sein. Länger lässt es sich nicht züchten. Es fällt sonst bei starkem Regen um und man kann es auch nicht mehr gut ernten.

Gabriele Niedermair: Wie lange hält so ein Reetdach und gibt es Methoden es zu konservieren, zu erhalten?

Wolfgang Thiel: So ein Dach hält zwischen 25 und 55 Jahren. Von außen kann man es nicht konservieren. Es gibt Gegenden wo die Witterung besser ist, da hält es natürlich länger. In feuchten Gegenden hält es nicht so lange. Die Wetter-abgewandte Seite ist dann natürlich beständiger als die dem Wetter ausgesetzte Seite. Da gab es die Möglichkeit von innen zu konservieren indem man innen Feuer machte und den Rauch durchs Dach ziehen ließ, der es so konserviert hat.

Gabriele Niedermair: Welche zerstörenden Einflüsse gibt es für so ein Stroh- oder Reetdach?

Wolfgang Thiel: Das sind z.B. Mikroorganismen, Pilze, Schimmel, die von außen langsam die Halme angreifen und sehr langsam zu Kompost verarbeiten. Dann gibt es natürlich Tiere wie Marder oder Vögel, die die Dächer besuchen und Löcher machen, die man dann wieder stopfen muss und kann.

Gabriele Niedermair: Funkenflug ist auch ein gefährlicher Moment für Reetdächer?

Wolfgang Thiel:  Natürlich, das Feuer ist der schlimmste Feind des Stroh -und Schilfdaches. Da kann man nur Vorsicht walten lassen und die Umgebung schützen, weil so ein brennendes Dach schwer zu löschen ist. Auch Spinnweben in den Häusern sind extrem leicht brennbar, und der Brand kann sich explosionsartig unterm Dach verbreiten.

Gabriele Niedermair: Du kommst aus der Gegend von Bremerhaven. Wie alt sind dort die ältesten Häuser, die so ein Reetdach haben?

Wolfgang Thiel: Die ältesten Häuser sind nach dem Dreißigjährigen Krieg aufgebaut worden, zwischen 1640 und 1680. Ein Schilfdach haben aber die meisten Häuser aus den Jahren um 1850 bis 1880. Heute werden nur Ferienhäuser mit Reet gedeckt. Man kann auch mehrstöckige Häuser mit Reet decken, aber in der Regel sind es alte Bauernhäuser, die eine sehr tief gezogene Traufe haben, also traditionelle Bauernhäuser.

Gabriele Niedermair: Danke für das angenehme Interview mit vielen interessanten Details und Infos und für deine Arbeit auf dem Dach!

Wolfgang Thiel: Es hat mich sehr gefreut euer Dach hier im Schnalstal zu decken. Ich wünsche euch, dass es sich lange hält!