Interview mit den Kuratorinnen der Sonderausstellung „In Wort und Schrift“
Am kommenden Sonntag wird die diesjährige Sonderausstellung eröffnet. Sie erzählt die Geschichte des Sprechens und Schreibens. Simone Bacher hat ein Interview mit den Kuratorinnen geführt:
Worüber erzählt die Ausstellung?
Johanna Niederkofler: Die Ausstellung spannt einen Bogen von den mutmaßlichen Anfängen der Sprechfähigkeit des Menschen bis zu den zeitgenössischen Sprachen. Der Fokus liegt dabei auf den Sprachen und Schriften unserer Gegend. Es geht auch um Vorformen der Schrift und um die Frage, wie Gesellschaften teilweise bis heute im Unterschied zu uns ohne Schrift leben.
Simona Marchesini: Ein besonderes Augenmerk haben wir auf Phänomene, die typisch sind für die Region – etwa die Mehrsprachigkeit – gelegt und auf die Zeit von Ötzi gelegt. Dabei war für uns die sprachliche Situation im ersten Jahrtausend vor Christus, die wir aus schriftlichen Dokumenten besser kennen als die älteren Epochen, Aushaltpunkt, um für die älteren Zeiten Hypothesen vorzuschlagen. Auch.
Johanna Niederkofler: Jede Sprache folgt ganz eigenen Logiken. Auch von dieser Vielfalt erzählt die Ausstellung. Wir wollen die Besucher/innen anregen, sich mit den Sprachen und Varietäten, die sie selber sprechen, auseinanderzusetzen und ihre Ähnlichkeiten und Unterschiede zu entdecken.
Wie ist die Idee zur Ausstellung entstanden?
Simona Marchesini: Im Herbst des vergangenen Jahres haben wir uns auf einer Tagung in Österreich kennengelernt und länger geplaudert. Da ist die Idee entstanden.
Johanna Niederkofler: Mein Team und ich sind oft mit der Frage konfrontiert, ob bzw. wie Ötzi gesprochen hat. Mit Frau Marchesini habe ich die Person kennengelernt, mit der wir diese Frage aufgreifen und in eine Ausstellung packen konnten. Sie und das Institut, das sie leitet, Progetto Alteritas, arbeiten seit Jahren an Themen wie dem kulturellen Austausch von Gesellschaften in der Vergangenheit und heute. Wir teilen die Freude, auf Analogien und Verschiedenheiten der Zeitepochen neugierig zu sein und diese sichtbar zu machen.
Simona Marchesini: Ein gemeinsames Interesse an der Aktualisierung von alten Fakten haben wir sofort festgestellt. Frau Niederkofler war an meinen sprachwissenschaftlichen Themen interessiert, ihre Fragen über die Sprachen der Ötzi-Zeit und im Allgemeinen haben mich motiviert, die Zusammenarbeit zuzusagen. Archäologie und Sprachwissenschaft sind zwei sehr unterschiedliche aber gleichzeitig auch sehr verwandte Fächer. Grundlegende Fragen unserer Geschichte als Menschen – wie die unsere Sprachen betreffend – für ein breites Publikum aufzubereiten, war für mich rückwirkend betrachtet eine sehr bereichernde Erfahrung.
Welche Kenntnisse hat die Sprachwissenschaft heute betreffend die Zeit, in der Ötzi gelebt hat?
Simona Marchesini: Man kennt leider die sprachliche Situation des Alpenraums im 3. Jahrtausend v. Chr. nicht aus schriftlichen Quellen. Ausgehend vom linguistischen Szenario der Eisenzeit können wir aber Hypothesen formulieren. Es ist gut möglich, dass die Sprachlandkarte zu Zeiten von Ötzi jener der Eisenzeit sehr ähnlich war mit Rätisch und verschiedenen keltischen und indogermanischen Sprachen.
Aus welcher Zeit stammen die ältesten Schriftdokumente in unserer Region?
Simona Marchesini: Die ältesten Schriftzeugnisse sind am Ende des 6. Jh. v. Chr. zu datieren. Damals haben die Räter, insbesondere ihre kultivierten Élites, das Alphabet möglicherweise von den Etruskern in der Poebene übernommen. Die Schrift muss für sie eine Art prunkvolles Zeichen ihrer Macht gewesen sein. Sie hat unter anderem dazu gedient, Gaben an Menschen und an Götter zu betonen und zu bestätigen. Man kennt solche Weihe- und Stifterinschriften auch aus anderen Kulturkreisen. Auch in unserem christlichen.
An welches Publikum richtet sich die Ausstellung?
Johanna Niederkofler: Die Ausstellung richtet sich an jene Menschen, die interessiert sind darüber nachzudenken, wie es dazu gekommen ist, dass die Welt heute so ist, wie sie ist.
Simona Marchesini: Die Zielgruppe, die wir seit der Konzeption der Ausstellung im Auge haben, ist die bunte Vielfalt der archeoParc-Besucherinnen und -Besucher.
Johanna Niederkofler: Ganz besonders jene großen und kleinen Menschen, die öfter zu uns kommen und die uns eben Fragen zum Thema stellen. Zu kurz kommen dabei Fachpublikum und nicht an Vertiefung interessierte Laien. Ich wünsche mir und meinen Leuten, dass es der Ausstellung gelingt, den Kreis jener Menschen unter unseren Besucherinnen und Besuchern zu erweitern, der die sprachlich-föderative Organisation von unseren Angeboten, versteht und schätzt.
In der Ausstellung über Sprache sind Objekte zu sehen. Welche Dinge zeigt man da?
Simona Marchesini: Wir diskutieren seit Beginn der Vorbereitungen, welche Objekte geeignet sind, Sprache und deren Geschichte zu illustrieren. Es gibt aus der jüngeren Zeit Tonaufzeichnungen, aus älteren Epochen erzählen abgesehen von indirekten Hinweisen praktisch nur schriftliche Zeugnisse direkt von Sprache.
Johanna Niederkofler: Letztendlich haben wir uns für Objekte entschieden, die anregen sollen, über die verschiedenen Funktionen von Sprache und im Besonderen von Schrift nachzudenken. Das kann der Einkaufszettel oder der Knoten im Taschentuch genauso sein wie die religiöse Widmung auf einem Vorlegteller, die Besitzermarken auf den Ohren von Tieren oder die in Holz gekerbte Notiz von Rechten und Pflichten.
Gibt es auch was zu tun in der Ausstellung?
Johanna Niederkofler: Ja. Es ist die Überzeugung des Hauses, das ich leite, und auch meine persönliche, dass eine Ausstellung für Kopf und Hände etwas zu tun bieten sollte. Konkret kann man beispielsweise ausprobieren eine Tontafel herzustellen und darauf in verschiedenen Schriften zu schreiben. Wir stellen Material und Werkzeug dafür zur Verfügung und laden ein, die selbst mitgebrachten Werkzeuge – die Hände und den Ausdrucksreichtum der eigenen Sprachen – ausgiebig zu nutzen.